Beschmierte und zerstörte Wahlplakate, angegriffene Parteibüros, körperliche und verbale Attacken gegen gewählte Volksvertreter: Die Verrohung von Teilen der Gesellschaft nicht nur in den „sozialen Medien” nimmt in besorgniserregendem Ausmaß zu.
Im vergangenen Jahr hat es einem Zeitungsbericht zufolge deutlich mehr Angriffe auf Abgeordnete und andere Amts- und Mandatsträger gegeben. Die Zahl dieser Delikte habe im Laufe des Jahres bis zum Stichtag 31. Dezember 2024 um knapp 20 Prozent auf 4.923 zugenommen, berichtete das RedaktionsNetzwerk Deutschland unter Berufung auf das Bundesinnenministerium.
Welche Erfahrungen mit Gewalt - körperlich oder verbal - haben Kommunal-, Landes- und Bundespolitiker aus Bayreuth und dem Stimmkreis gemacht? Inbayreuth hat sich umgehört und folgende Stellungnahmen der Politiker/innen bekommen.
Oberbürgermeister Thomas Ebersberger (CSU) berichtet von „mindestens monatlichen Drohungen und Beschimpfungen, die meist per E-Mail bei ihm eingingen. „Meist handelt es sich dabei um unzufriedene Bürger, die sich über irgendetwas beschweren, für das ich oft gar nicht zuständig bin”, sagt Ebersberger und zitiert die härtesten Drohungen: „Du bis zum Aufhängen freigegeben” oder „Die Festspielpremiere wirst Du nicht überleben”.
Dies sei aber ein uraltes Problem, das er als 2. Bürgermeister auch schon bei seinen Vorgängern miterlebt habe. Bei Beschwerden gebe er meist eine Antwort und verweise auf die zuständige Stelle. Beleidigungen ignoriere er, weil eine Anzeige nicht viel bringe. „Meist sind solche Leute finanziell nicht besonders gut gestellt und können eine eventuelle Strafe gar nicht bezahlen.”
Körperliche Angriffe habe er bislang noch nicht erleben müssen, doch davor habe er auch keine Angst. „Ich lasse mich nicht einschüchtern, zumal ich als Jugendlicher Karate gemacht und bei der Bundeswehr eine Nahkampfausbildung absolviert habe. Ich hoffe aber, dass ich das nie einsetzen muss”, sagt der Oberbürgermeister schmunzelnd.
Auch bei der CSU-Bundestagsabgeordneten Silke Launert halten sich Bedrohungen und Beleidigungen mit Ausnahme des Falls mit einem Stalker in Grenzen. Dieser Mann stehe mittlerweile sogar wegen eines Mordversuchs vor Gericht. „Das war schon recht heftig.”
Körperlich sei sie noch nie angegangen worden, verbal aber schon. „Vor allem in den sozialen Medien gibt es immer wieder mal Drohungen von intoleranten Menschen.” Wenn es zu schlimm sei, zeige sie diese Fälle auch schon mal an, das komme aber eher selten vor. „Dafür habe ich einfach keine Zeit.” Meist reiche ihr dann, solche Kommentartoren zu blockieren oder deren Beiträge zu löschen.
Launerts Parteikollege Franc Dierl, CSU-Landtagsabgeordneter aus Speichersdorf, musste schon manche Verunglimpfung erfahren. Vor allem an Wahlständen in der Stadt Bayreuth habe er das erlebt. „Problematisch sehe ich die aktuelle Entwicklung hinsichtlich der Aufrufe zu Demos vor meinem Wahlkreisbüro in Bayreuth. Rufe wie 'rassistisch' und 'undemokratisch' sowie Aktionen wie das 'Aufstellen von Holzkreuzen' wird einem schon anders.”
Auch das „Beschmieren von Gehwegen” vor dem gemeinsamen Büro der CSU und den Bürgerbüros MdB/MdL mit merkwürdigen Parolen rufe bei ihm Unbehagen hervor. „Ich scheue keinen politischen Diskurs und keinen Austausch mit Andersdenkenden - aber auf Augenhöhe und fair. Wer das Gespräch mit mir sucht, wird auch entsprechend gewürdigt”, betont Dierl.
Die Grenze sei überschritten, wenn durch 0132Machtdemonstrationen” Angst bei seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, bei seiner Familie und auch bei ihm geweckt werden sollen. „Ich lehne jedwede Form von Extremismus ab. Das müssen wir mit aller Kraft bekämpfen, und zwar von Rechts und von Links.”
Laut Gert-Dieter Meier, Sprecher der Fraktionsgemeinschaft FDP/Die Unabhängigen/Frauenliste im Bayreuther Stadtrat, habe man zwar noch keine direkte Gewalt erlebt. Allerdings weist er auf ein anderes Problem hin: den immer rauer werdenden Ton in den sozialen Medien.
Pauschalierungen und Verunglimpfungen nähmen drastisch zu („Die haben alle keine Ahnung”). Meier: „Immer mehr Menschen nehmen Argumente nicht mal mehr zur Kenntnis, sondern reden die Dinge lieber gleich schlecht. Es zählt immer häufiger nur die eigene Meinung, während Fakten, auch von Fachbehörden, immer mehr an Bedeutung verlieren.” Diese „Trumpisierung” erschwere die sachliche Auseinandersetzung merklich.
Meier nennt ein Beispiel auf lokaler Ebene: Das Thema Verkehrsumbau Bismarckstraße/Erlanger Straße. Es gebe Berechnungen, die besagen, dass es einzig während der Rush Hour morgens (stadteinwärts) und abends (stadtauswärts) gegebenenfalls zu zusätzlichen Verzögerungen im Minutenbereich komme. „Kolportiert wird aber, dass die Maßnahme Tag für Tag stundenlange Staus verursachen würde. Das ist Käse.”
Gleichzeitig werde gerne auch die Expertise von Fachbehörden in Zweifel gezogen („als ob die wütenden Bürger es besser wüssten”). Und dann das Totschlagargument Kosten. „Ein solches Projekt würde die Stadt fünf Millionen Euro kosten. Geld, das man besser in die Schulsanierung stecken sollte.” Das sei Blödsinn, weil man das Projekt nur dann umsetzen werde, wenn es eine 80 oder 90-prozentige Förderung gebe. Dann würde das Projekt der Stadt weniger als circa 500.000 Euro kosten.
„Das ist zwar noch keine Gewalt, aber das Reizklima macht es einem schon schwer, sauber zu argumentieren, wenn von vielen anderen nur noch geholzt und aus dem Bauch heraus argumentiert wird”, betont der Fraktionssprecher.
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Annette Kramme musste immer wieder kleinere Übergriffe erleben: von Beleidigungen, Hassbriefen und Verleumdungen bis zu Beschädigungen ihres Autos wie verbogene Scheibenwischer und tiefe Kratzer im Auto, verursacht wohl durch einen Schraubenzieher.
Mehrere Jahre sei sie von einem psychisch kranken Menschen immer wieder mit kleineren Straftaten überzogen worden. Die habe sie zwar angezeigt, doch seien die Taten mangels Schuldfähigkeit des Mannes eingestellt worden.
An einem Infostand der SPD sei vor einigen Jahren ein Mann mit Gewehrkugeln gekommen und habe erklärt, dass er die noch bis zur Bundestagswahl benötige. Bei der Landtagswahl 2023 habe ein Mann am Infostand gedroht, den Kandidaten Halil Tasdelen zu verprügeln. Zuvor war Tasdelen bekanntlich von einem Rechtsextremen zusammengeschlagen worden.
„Trotzdem würde ich die Lage in Bayreuth insgesamt als bislang eher ruhig bezeichnen. Andere Kollegen berichten weitaus drastischere Dinge. Beispielsweise hat mir ein Kollege eine Morddrohung gezeigt, die in Details seine angedrohte Tötung beschrieben hat.”
Der Grünen-Landtagsabgeordnete Tim Pargent hat bereits schlechte Erfahrungen gemacht. „Höhepunkt der Angriffe waren sicherlich die Steinwürfe im Dezember 2023 auf mein Regionalbüro in Bayreuth. Leider wurden der oder die Täter bis heute nicht gefunden.”
Insgesamt seien der Landtagswahlkampf 2023 sowie der Winter 2023/24 sehr aufgeheizt gewesen, was man auch persönlich gemerkt habe. „Dabei habe ich auch eine Beleidigung am Infostand angezeigt.” Außerdem sei die Zerstörung von Wahlplakaten damals immens gewesen.
Nach seiner Wahrnehmung habe sich die Lage seit dem Frühling 2024 wieder etwas beruhigt. „Grund zur Entwarnung kann ich aber keinesfalls geben. Gerade im Netz beobachte ich weiterhin viele grenzwertige Kommentare und Beiträge.”
Martin Böhm, MdL der AfD, antwortet auf eine entsprechende Anfrage wie folgt: „Wenn mir mal einer auf der Straße 'scheiß Nazi' hinterherplärrt, dann empfinde ich das nicht als Angriff, sondern der Knabe ist dann einfach dumm. Das berührt mich nicht und zudem ist das erst zwei oder drei Mal in den vielen Jahren geschehen. Verbale Beleidigungen richten sich dann immer gegen eine Veranstaltung oder einen Infostand. Da macht mir höfliches Zurücklächeln am meisten Freude.”
Körperliche Gewalt hat Böhm „glücklicherweise noch nicht erfahren”. Vermutlich gebe es in solchen Fällen gegenüber einem Abgeordneten aus strafrechtlicher Sicht eine höhere Hemmschwelle.
Ulf Boderius, Vorstandssprecher des Grünen-Kreisverbands, und Grünen-Stadtratsfraktionsvorsitzende Sabine Steininger sowie ihre Kollegen/innen, haben bisher noch keine (schlechten) Erfahrungen mit Gewalt gemacht.
„Glücklicherweise” noch keinerlei Gewalt gegen seine Person musste Landrat Florian Wiedemann machen. Das gilt auch für Holger Grießhammer, den SPD-Fraktionsvorsitzenden im Landtag.