Der „Jedermann“ begleitet Sie schon seit über 20 Jahren. Hat sich die Reaktion des Publikums auf das Stück im Laufe der Zeit verändert? Wenn ja, wie?
Nicolai Tegeler:// Das ist wirklich schwer pauschal zu beantworten. Frühere Inszenierungen, wie etwa in Berlin, waren zwar erfolgreich, wirkten aber oft etwas altbacken. Unsere Interpretation hingegen ist modern, obwohl wir die traditionelle Sprache beibehalten haben. Das bewegt die Menschen spürbar. Ich habe in unseren Aufführungen gesehen, wie die Zuschauer vor Rührung geweint haben. Daher bin ich überzeugt, dass die Reaktion des Publikums stark von der Art der Inszenierung abhängt – und nicht allein vom Thema. Denn dieses bleibt seit über hundert Jahren genauso relevant wie eh und je.
Sie haben eine illustre Schar an Schauspielerinnen und Schauspielern um Sie versammelt. Wie haben Sie sie überzeugt, an diesem doch aufwändigen Projekt teilzunehmen?
Nicolai Tegeler:// Ich glaube, dass liegt immer an einem selbst. Wenn man eine Vision, eine Idee hat und sie leidenschaftlich vorbringen kann, dann schafft man es auch, das passende Team zu finden und zu überzeugen. Dann springt auch der Funke über. Julian Weigend zum Beispiel – er hat lange überlegt, er hat ja eine feste Rolle im Fernsehen. Und die Hauptrolle als Jedermann im „Jedermann“ ist anspruchsvoll, er steht über neunzig Prozent der Zeit auf der Bühne – das muss man wollen und schaffen. Und ich konnte ihn am Ende doch für uns gewinnen, und er hatte von Anfang an richtig Lust drauf. Für mich ist aber auch wichtig: Ich möchte nur noch mit Menschen arbeiten, mit denen ich beruflich befreundet bin. Reich wird hier keiner, aber ich biete den Mitwirkenden eine tolle Zeit, die sie trotz der harten Arbeit genießen. Es ist ein großartiges Erlebnis, eine außergewöhnliche Gemeinschaft, die man dann sicher auch vermisst.
Warum touren und keine Inszenierung in einem festen Theater?
Nicolai Tegeler:// Eigentlich hatte ich nie geplant, auf Tournee zu gehen. Ich hatte 2016 in Potsdam mit dem „Jedermann“ angefangen, wollte ihn dort ähnlich wie in Salzburg etablieren. Da hatte ich aber die falschen Partner mit an Bord, dann kam Corona. Der Neustart war dann 2022 in Beelitz zur Landesgartenschau, auch da aber nicht als Tournee gedacht. Und dann kam irgendwie eines zum anderen, ganz genau kann ich es nicht mehr sagen. Ich persönlich liebe es, unterwegs zu sein, das Stück zu den Menschen zu bringen, auch zu sehen, wie sie reagieren. Jede Stadt und damit auch jedes Publikum sind ja anders. Es ist richtig spannend.
Was ist bei einer solchen Produktion die größte Herausforderung und was die schönste?
Nicolai Tegeler:// Ich liebe Herausforderungen, das mag ich auch eben so an dieser Tournee, auch wenn es manchmal natürlich ganz schön anstrengend ist. Die größte Herausforderung sind wirklich die Finanzen – ich produziere ja mit meiner Firma selbst. Und wir haben ein großes Ensemble, auf das ich aber nicht verzichten will. Menschen wollen Menschen sehen, und dieses Erlebnis wollen wir ihnen bieten. Die schönste Herausforderung ist die Arbeit mit den Komparsen, die wir immer in der jeweiligen Region suchen: Ihnen das Gefühl zu geben, dass sie Teil des Teams sind, auch wenn sie nur einen eher kurzen Auftritt haben, und dass sie genauso wichtig sind wie die Hauptrollen. Sie abzuholen und zu motivieren, das treibt mich an und freut mich dann natürlich auch sehr, wenn es funktioniert.
Sie sind auch bei Kinoproduktionen tätig. Könnten Sie sich vorstellen, den „Jedermann“ in einen Spielfilm zu übersetzen?
Nicolai Tegeler:// Ich habe durchaus darüber nachgedacht. Aber ich glaube, er würde nur funktionieren, wenn man ihn ähnlich macht, wie Baz Luhrmann „Romeo und Julia“ mit Leonardo di Caprio und Claire Danes umgesetzt hat. Eine „gewöhnliche“ Verfilmung dagegen nicht. Das Stück ist einhundert Jahre alt, und die Themen wurden in verschiedensten Variationen in unzähligen Filmen verarbeitet, das würde jetzt niemanden mehr vom Hocker hauen. Deshalb gibt es wahrscheinlich bis heute keinen „Jedermann“-Film. Es ist einfach ein klassisches Theaterstück.
Wie ist Ihr Eindruck von Bayreuth?
Nicolai Tegeler:// Ich war früher in Kronach bei den Faust-Festspielen und kenne Bayreuth deshalb schon länger. Es ist eine wunderschöne historische Stadt. Was mir am meisten gefällt, ist die Maxstraße als Zentrum – in Berlin gibt es ganz viele Stadtzentren, hier nur eines. Das finde ich richtig schön und idyllisch. Und das Umland ist auch toll. Jetzt freue ich mich auf die Bayreutherinnen und Bayreuther und ihre Reaktion auf unseren „Jedermann“.
Was machen Sie nach dem 27. Oktober?
Nicolai Tegeler:// Nach dem 27. Oktober? Wenn ich das alles überlebt habe, brauche ich tatsächlich ein paar Tage Auszeit. Nein, im Ernst – sollte Bayreuth ein Erfolg werden, in alle Richtungen, dann nehme ich mir ein paar Tage frei und fahre weg – ich hatte bestimmt seit mindestens drei Jahren keinen Urlaub mehr… Und wenn es kein Erfolg werden sollte, dann sperre ich mich mindestens eine Woche ein, lege mich unter mein Bett und komme da nicht mehr raus.
Ich bin sicher, dass das mit dem Urlaub klappen wird! Vielen Dank für das Interview!
Nicolai Tegeler ist Regisseur, Schauspieler und Produzent. Mit dem „Jedermann“ kam er bereits Ende der 90er in Berührung, und das Stück hat ihn über all die Zeit nicht losgelassen. 2024, zum 150. Geburtstag von Hugo von Hofmannsthal, brachte er das Stück zuerst nach Weimar und dann nach Berlin. Bayreuth ist die dritte und letzte „Jedermann“-Station in dieser Saison. Lesen Sie auch mehr dazu im Interview mit Sven Schenke, einem der Bayreuther Schauspieler aus dem Ensemble.
Tickets sind hier oder an der Theaterkasse erhältlich.