Mit Arbeitsmarktkarrieren von Kriegswitwen beschäftigt sich der Bayreuther Wirtschaftshistoriker Prof. Dr. Sebastian Braun in einem soeben erschienenen Paper und in dem Projekt „Kriegerwitwen: Erwerbsbiografien in Westdeutschland und Europa nach 1945“. Er leitet es gemeinsam mit Prof. Dr. Jan Stuhler von der Universidad Carlos III de Madrid. Die international ausgerichtete Forschung wirft auch ein Schlaglicht auf die Problematik, wie sie jetzt in der Ukraine droht.
Kriegswitwen schulterten nach dem Zweiten Weltkrieg die Doppelbelastung durch Arbeit und Kindererziehung, aber beendeten meist ihre Erwerbstätigkeit, sobald ihre Kinder das Erwachsenenalter erreicht hatten. Dies geht aus einer neuen empirischen Studie von Braun und Stuhler hervor, die jetzt im renommierten Journal of Public Economics veröffentlicht wurde. „Unsere Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung politischer Rahmenbedingungen für die Arbeitsmarktkarrieren von Kriegswitwen und sind damit auch für aktuelle Konflikte relevant”, sagt Braun, Wirtschaftshistoriker und Arbeitsökonom an der Universität Bayreuth. In dem Projekt „Kriegerwitwen: Erwerbsbiografien in Westdeutschland und Europa nach 1945“ wollen Stuhler und Braun weiter an dem Thema forschen.
Die Studie verwendet Lebensverlaufsdaten für Westdeutschland, um die wirtschaftliche Situation von Kriegswitwen zu beleuchten, einer Gruppe, die in historischen Darstellungen des Zweiten Weltkriegs und anderer Konflikte oft ignoriert wird. „Obwohl weltweit Millionen von Frauen ihre Partner im Krieg verloren haben, wissen wir erstaunlich wenig über die Erwerbsbiografien dieser Frauen”, sagt Braun. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieben die meisten der bis zu 1,2 Millionen in Westdeutschland lebenden Kriegswitwen unverheiratet. Noch 1971 waren Kriegswitwen der Geburtsjahrgänge 1906 bis 1914 um 73 Prozent seltener verheiratet als Frauen, die ihren Mann nicht im Krieg verloren hatten. Trotz der damit verbundenen negativen Auswirkungen auf das Haushaltseinkommen waren Kriegswitwen aber nur anfangs häufiger erwerbstätig als Nichtwitwen. Im Jahr 1950 waren mehr als ein Drittel der Kriegswitwen selbständig oder abhängig erwerbstätig. Ihre Beschäftigungswahrscheinlichkeit war damit um 13,8 Prozentpunkte höher als die der Nichtwitwen, von denen „nur“ 20,5 %, also etwa jede fünfte Frau, erwerbstätig waren. Dieser positive Beschäftigungseffekt war aber überraschenderweise nur vorübergehend: 1971 war die Wahrscheinlichkeit, dass Kriegswitwen erwerbstätig waren, geringer als bei ihren Altersgenossinnen. Die Gesamtbeschäftigungsquote lag bei den Kriegswitwen damals um 5 Prozentpunkte niedriger als bei der Vergleichsgruppe.
Die neue Studie legt nahe, dass der langfristig negative Beschäftigungseffekt auf die Stigmatisierung der Erwerbstätigkeit von alleinerziehenden Müttern, auf unzureichende Kinderbetreuungseinrichtungen und auf die immer großzügigere staatliche Unterstützung zurückzuführen ist. Da die Unterstützungsleistungen mit steigendem Erwerbseinkommen abnahmen, ergaben sich offenbar kaum Anreize zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Diese negativen Anreize gewannen mit zunehmendem Alter der Kriegswitwen an Bedeutung, da insbesondere die einkommensabhängige Komponente der Unterstützungszahlungen in den 1950er und 1960er Jahren immer großzügiger gestaltet wurde.
Die unzureichende Unterstützung der Kriegswitwen in der unmittelbaren Nachkriegszeit ist kein Spezifikum der westdeutschen Nachkriegszeit, da der finanzielle Spielraum des Staates nach Konflikten in der Regel begrenzt ist. Die Forscher betonen in ihrer Studie, dass internationale Bemühungen zur Unterstützung von Kriegswitwen während und unmittelbar nach Konflikten besonders wichtig sind, wenn viele Witwen die Doppelbelastung tragen, sich um kleine Kinder zu kümmern und zu arbeiten. Eine solche Unterstützung sei auch entscheidend, um den Kreislauf konfliktbedingter Armut zu durchbrechen. „Die schwierige finanzielle Situation nach 1945 erklärt wahrscheinlich auch, warum die Kinder von Kriegswitwen oft frühzeitig die Schule verlassen haben”, sagt Braun. So verließen die Söhne von Kriegswitwen das Ausbildungssystem im Schnitt ein ganzes Jahr früher als ihre Altersgenossen, die ihren Vater nicht im Zweiten Weltkrieg verloren hatten. „Doch je größer der finanzielle Spielraum wird, desto wichtiger wird es, die Entschädigungsprogramme für Witwen so zu gestalten, dass Arbeitsanreize erhalten bleiben.“