BAYREUTH. Premiere in Bayreuth: Seit wenigen Wochen haben mehrere Senioren gemeinsam eine Wohngemeinschaft am Stuckberg bezogen. Dem Projekt ging eine fast vierjährige Vorbereitungszeit voraus.
Ist das etwas für mich? Gehe ich vielleicht sogar den Mitbewohnern auf die Nerven? Nur zwei von vielen Fragen, die sich 13 Menschen selbstkritisch gefragt haben. Am kommenden Freitag (30. Juni 2023) wird das Projekt mit dem Namen LeNa offiziell eingeweiht. Ausgezeichnet ist es längst. Die Bayreuther Sonntagszeitung hat vorab mit zwei Bewohnern der „Lebendigen Nachbarschaft“ – dafür steht die Abkürzung LeNa – gesprochen.
Als Ausgangspunkt habe eine zentrale Frage im Raum gestanden. „Wie wollen wir älter werden?“ nennt Günter Bergmann benennt sie. Er ist der Vorstand der Gesellschaft bürgerlichen Rechts „LeNa Bayreuth“, die im Herbst 2021 aus der Taufe gehoben wurde.
Im Sommer 2023 gibt Bergmann, selbst Bewohner der neuen Senioren-WG in der Brahmsstraße die Antwort voller Überzeugung: „Wir wollen nicht in ein Heim, wenn es nicht sein muss. Wir wollen keinen Angehörigen zur Last fallen. Wir wollen uns viel lieber selbst unterstützen und in guter Gemeinschaft das Leben genießen“, sagt der 80-Jährige. Er spricht seinen zwölf Mitstreitern, die jüngste ist 59 Jahre alt, aus der Seele. Bergmann selbst ist der Älteste.
Für dieses „kleine Abenteuer“, wie Bergmann das Leben in der Senioren-WG selbst nennt, ist Mitte Mai sozusagen der Ernstfall eingetreten. Vor wenigen Wochen haben die 13 Männer und Frauen die WG bezogen. Wohngemeinschaft ist seitdem in der Brahmsstraße nicht gleichbedeutend mit Studenten-Bude, Feiern und dem einen oder anderen Streit, sondern mit unverbindlichem Gemeinschaftsprogramm und vor allem Harmonie.
Eine einzige Wohnung teilen sich die Bewohner nicht rund um die Uhr. Die zwei Paare haben ebenso eine kleine Wohnung gemietet wie die neun Singles. Das Herzstück ist jedoch die Gemeinschaftswohnung im Erdgeschoss, zu der jeder Bewohner einen Schlüssel hat. Die Wohnung ist unverbindlicher Treffpunkt, wenn man denn möchte. „Jeder kann, meiner muss“, beschreibt Harald Meier in ebenso wenigen wie treffenden Worten das Zusammenleben. Er selbst ist aus Altötting nach Bayreuth gezogen, hat hier zwar früher schon mal gelebt, jedoch keine Bayreuther Wurzeln.
Bergmann war es, der vor rund vier Jahren die Idee des gemeinschaftlichen Wohnens formuliert und weiterentwickelt hat. Er hat sich beim Verein J.A.Z. (Jung und alt zusammen) in Bayreuth engagiert. Nach und nach hat er Mitstreiter gefunden. Manche sind wieder abgesprungen, andere sind neu dazugekommen oder dabei geblieben. Die wöchentlichen Infotreffs sollen auch nach dem Erstbezug aufrechterhalten werden.
„Wir sind 13 sehr gute Freunde. Wir sind auch mit ehemaligen Interessenten weiter befreundet, die für sich erkannt haben ‚Kontakt und Freundschaft ja, zusammen wohnen nein‘“, blickt Bergmann auf die Findungsphase zurück. „Jeder von uns hat einen Fragebogen ausfüllen müssen, um herauszufinden, ob diese Wohnform zu einem passt“, zieht er dann doch eine Parallele zum eher studententypischen WG-Wohnen. „Da ging es vor allem darum, zu sich selbst ehrlich zu sein, auch wenn die anderen schon an Bord befindlichen Bewohner den gelesen haben“, schildert er.
Dass der jetzige Bezug ein Status Quo ist, ist allen Bewohnern bewusst. Es gibt weiter eine Interessentenliste, ebenso wie einen Fragebogen für mögliche Nachrücker. Dass niemand ewig leben wird, das ist allen 13 Bewohnern bewusst. Aber: Sie wollen versuchen, bis ans Ende ihrer Tage selbstbestimmt die selbst gewählte Wohnform beizubehalten.
Mit der gemeinnützigen Bayreuther Wohnungsbaugenossenschaft (GBW) hat Bergmann relativ früh einen aufgeschlossenen Partner gefunden, der als Bauherr fungierte und nun Vermieter ist. Jeder Bewohner ist Mitglied der Genossenschaft. Markus-Patrick Keil, Vorstand der GBW, nennt das gemeinschaftliche Seniorenwohnen einen „richtigen Leuchtturm“. „Was einer nicht schafft, schafft man gemeinsam. Das ist genau der genossenschaftliche Grundgedanke. Daher ist LeNa für uns ein richtig gutes Projekt. Wir erhoffen uns davon Nachahmer, damit es nicht das letzte Projekt dieser Art in Bayreuth bleibt“, so Keil.
Ein Ereignis, das die Bewohner lange vor Einzug erst aufschreckte, dann zusammenschweißte, war der Fund einer Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg auf der Baustelle. „Das war ein Freitag im Oktober 2021“, erinnert sich Bergmann. „Einige von uns waren auf einem Ausflug am Main unterwegs, als wir durch die Bombenmeldung aus Bayreuth aufgeschreckt wurden. Dann stellten wir fest: Das ist unser neues Zuhause!“ Die Bombe wurde bekanntlich entschärft, die zuvor evakuierten Bewohner kehrten zurück. Und nun gibt es auch neu zugezogene Nachbarn in der Brahmsstraße.