Die Welt spielt verrückt dieser Tage. Nichts scheint mehr, wie es einmal war. Fast nichts. Es gibt noch Menschen, die nicht nur jammern und kritisieren, sondern anpacken.
Ein gutes Beispiel dafür ist Alexander Krauß, dessen Leben sich durch die Flutkatastrophe im Ahrtal im Juli 2021 grundlegend änderte. Als er die Meldungen über Vermisste dort hört, nimmt Kontakt zur Hilfsorganisation 22 Wildlife auf, fährt auf eigene Faust ins Krisengebiet, sucht nach Vermissten und Flutopfern, räumt Keller leer und organisiert Hilfslieferungen.
Zusammen mit Sandro Jahn aus Hallstadt schließt sich der damals 20-Jährige nach dem Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine am 24. Februar 2022 einer Hilfsaktion für notleidende Menschen in der Ukraine an.
Seitdem riskiert Krauß zusammen mit Mitgliedern seines Vereins „Humanitas in Centro“ – Menschlichkeit im Zentrum – den er aus organisatorischen Gründen ins Leben rief und um Spendenquittungen ausstellen zu können – Leib und Leben an der Front. Bei einem gezielten russischen Drohnenanschlag auf seinen Konvoi werden vergangenes Jahr zwei seiner Fahrzeuge zerstört, ein Fahrer schwer verletzt.
In den ukrainischen Frontgebieten leben noch immer viele alte und kranke Menschen, die zu schwach oder zu arm für eine Flucht sind. „Humanitas in Centro“ versorgt diese Menschen mit Dingen des täglichen Bedarfs. Dort, wo kritische Infrastrukturen zerstört wurden und große Hilfsorganisationen wie ICRC oder UN auf Grund der großen Gefahr nicht mehr hinfahren, fängt deren Arbeit erst richtig an.
Kurz nach seiner letzten Hilfslieferung ins Ahrtal ist Alexander Krauß schon wieder unterwegs in die Ukraine: „Ich bin da ein bisschen reingerutscht“, beschreibt er den ersten Impuls, mit Sandro im Dezember 2022 nach Charkiw zu fahren. „Im Ahrtal-Camp waren Leute aus verschiedensten Richtungen und politischen Anschauungen, aber man hat immer diesen Zusammenhalt gespürt.“
Seit Kriegsbeginn ist er mit den Kollegen der NGO in Kontakt. „Ich habe sie auch finanziell unterstützt, als ihnen das Geld ausging.“ Nach dem Rückzug von 22 Wildlife habe Sandro mit anderen Helfern eine Feldküche initiiert.
Trotz des infernalischen russischen Bomben- und Drohnenhagels, trotz der ständigen Granatenangriffe habe er nie richtig Angst gehabt, erzählt der Speichersdorfer. „Respekt allerdings schon”, beschreibt Krauß seine Gefühlslage. „Man weiß, was passieren kann, aber es gibt Sicherheit, wenn du nie unvorbereitet in den Einsatz gehst.”
Die Freiwilligen aus verschiedenen Ländern fahren oft direkt an die Front, agieren im Einsatzgebiet auch mit der ukrainischen Hilfsorganisation „Universal Aid Ukraine“ (UAU). Vom gemeinsamen Camp aus bringen sie Spenden, Lebensmittel und Medikamente in die Frontgebiete.
Bis heute sichert die Einheit in der Stadt Kramatorsk (Donezk) die Versorgung der Dörfer und Städte entlang an der Ostfront auf rund 200 Kilometern ab. Seit Februar arbeitet der Verein von Krauß nur noch mit UAU zusammen. „Wir waren auch in der Millionenstadt Dnipro“, dem administrativen Zentrum der Oblast Dnipropetrowsk, „wir versorgen Menschen überall dort, wo andere nicht hinkommen.“
Im August vergangenen Jahres kommt es zu einem Drohnenangriff auf das Einsatzteam in der Ukraine. Zwei Fahrzeuge werden zerstört, vier Freiwillige teils schwer verletzt. Krauß geht von einem gezielten Angriff aus. „Ich selbst war nicht vor Ort“, erzählt er, „ich bin eine Woche vorher abgereist.“
Russische Angriffe auf Hilfsorganisationen seien gängige Praxis – im Februar 2023 etwa auf die Ausgabestelle an der Front. „Eddy, ein britischer Helfer eines ukrainischen Helfer-Teams, hatte weniger Glück.“ Bei einer Attacke auf ein gekennzeichnetes Fahrzeug hätten Schrapnell-Teile Eddys linken Arm und linkes Bein zerfetzt: „Sie mussten amputiert werden.“
Matthias Uri koordiniert seit Kriegsbeginn für die BHS Corrugated in Weiherhammer (Landkreis Neustadt/Waldnaab) Hilfslieferungen. „Die Russen fahnden gezielt nach Hilfsorganisationen“, sagt Uri. „Bei einem anderen Vorfall feiern Russen in ihren Telegram-Channels den Angriff ab.“ Daran sehe man, dass Evakuierungsfahrzeuge gezielt mit Drohnen angesteuert würden.
Auch er selbst habe schon Morddrohungen bekommen. „Über Insta hat man mir geschrieben, die Russische Föderation werde meine Familie auslöschen.“ Da die Adresse seines Firmensitzes bekannt sei, mache er sich schon Sorgen. Ein Ex-Bundeswehr-Offizier habe ihn gewarnt: „Man weiß ja nicht, wie viele russische Agenten in Deutschland unterwegs sind.”
Die Lage sei auch für die Helfer kompliziert: „Es ist ein Schlag ins Gesicht der Ukrainer“, sagt Uri. Die sich zuspitzende Situation an der Front sei auch dem zögerlichen Handeln des Westens geschuldet. „Jetzt sitzt jemand im Weißen Haus, der Fakten schafft“, sagt Uri. Das nehmen auch die US-Helfer vor Ort nur noch mit Kopfschütteln zur Kenntnis.”
„Aus Helfersicht wünscht man sich, dass der Krieg bald vorbei ist“, beschreibt Uri seinen inneren Zwiespalt. „Aber zu welchem Preis – gibt sich Putin damit wirklich zufrieden?“ Der BHS-Ingenieur hat seine Zweifel. „Die Situation erinnert an das Münchener Abkommen von 1938, als die Engländer und Franzosen Hitler das so genannte Sudetenland zum Fraß vorwarfen, in der Annahme, er gäbe sich damit zufrieden.“ Was folgte, ist die Geschichte des Zweiten Weltkriegs mit über 60 Millionen Toten.
Fotos von Hilfseinsätzen des Speichersdorfers sind ab 11. März im Foyer der BHS Corrugated in Weiherhammer zu sehen. Die Foto-Ausstellung „Einsatz unter Lebensgefahr“ im Foyer des Life-Cycle-Buildings (LCB) der BHS dokumentiert die Situation der Menschen an der Front und die Arbeit der Helfer mit rund 40 großformatigen Aufnahmen auf Leinwand, Videos seiner Body-Cam, seinem Schutzanzug, zwei Einsatzfahrzeugen, der Polizeijacke eines getöteten Polizisten und einem Food-Pack.
Die Ausstellung ist vom 12. bis 28. März montags bis freitags von 8 bis 16 Uhr ohne Anmeldung zugänglich.